Machen wir uns selbst ein Bild!
Anlässlich der Amtseinführung von Donald Trump als 47. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika hält Dr. Markus Bultmann, Lehrer am Droste-Hülshoff-Gymnasium und Fachberater für Geschichte am Zentrum für Schulqualität und Lehrerbildung (ZSL) einen Vortrag über die Macht der Bilder und erörtert, wie wir ihre Macht für die Demokratie nutzen können.
Bewaffnete stürmen das Kapitol in Washington, eine Bastion der Demokratie. Sie wollen verhindern, dass der abgewählte US-Präsident Donald Trump die Macht an seinen Nachfolger übergeben muss. Chaos, Gewalt und Angst prägen diese Momente, die weltweit für Entsetzen sorgen. Am 20. Januar 2025 wird Donald Trump erneut als US-Präsident vereidigt. Als erste Amtshandlung erlässt er an die Hundert Dekrete, darunter die Begnadigung aller, die an dem versuchten Putsch im Januar 2021 beteiligt und zu langen Haftstrafen verurteilt worden waren.
All das können etwa 50 Gäste live am Droste verfolgen: Während sich der Saal allmählich füllt, flimmert die Übertragung der Amtseinführung über die Leinwand – ein bewusst gewählter Einstieg in einen Vortrag über die Bilder der Macht und die Macht der Bilder.
Demokratiestärkung am Bild: Donald Trumps Foto-Ikone historisch denken
Bevor Markus Bultmann sich der Macht und den Bildern zuwendet, dankt er Drostes Heimlichen Genies, Schulleitung und Technik, die den Vortrag kurzfristig zwischen Generalprobe und zwei Aufführungen möglich gemacht haben. Im Gegensatz zu Drostes Heimlichen Genies sei in seinem Vortrag nichts Geniales zu erwarten, so Bultmann. „Wir schauen uns heute Abend nur ein Bild an.“ Wenn auch ein besonderes Bild, wie das Publikum bei der allmählichen Auflösung des Foto-Puzzles schnell feststellt: Es zeigt Donald Trump nach dem Anschlag im Sommer 2024 in der US-amerikanischen Kleinstadt Butler. Der Präsidentschaftskandidat steht da mit gen Himmel gereckter Faust, flankiert von Sicherheitskräften, deren Blicke sind gesenkt, die US-amerikanische Flagge flattert hochkant im Hintergrund. „Eine perfekte Komposition,“ erklärt Bultmann.
Bilder der Demokratie entstehen als Anfrage an sich selbst
In seinem Vortrag zeigt Bultmann, wie Bilder in unserer multivisuellen Gesellschaft zu Symbolen und Waffen werden. „Offene Gesellschaften müssen lernen, mit der Ambivalenz des Visuellen umzugehen,“ erklärt er. Bilder seien nicht neutral, sondern immer mit Bedeutungen aufgeladen, die in der Gesellschaft verhandelt werden. Eine zentrale Rolle spielt dabei die Erinnerungskultur einer Gesellschaft. „Sie baut ihre gemeinsame, sinnstiftende Erinnerung auch auf Bildern der Vergangenheit auf, indem sie Bilder aus der Vergangenheit auswählt und diese auf eine bestimmte Weise deutet. Dieser Prozess der Erinnerungsbildung ist untrennbar mit den Werten einer Gesellschaft verbunden.“
Folglich bestehe die wichtigste Aufgabe einer demokratischen Gesellschaft in der Auseinandersetzung mit Vergangenheit darin, dass man „sich selbst ein Bild macht”, anstatt vorgegebene Deutungen hinzunehmen.
Bei der Vorbereitung des Vortrags sei aufgefallen, dass die bekannten Bild-Ikonen demokratischer Bildkulturen Motive zeigen, die sich vom Gegenteil dessen herleiten, was Demokratie ist. In ihren Aussagen brächten diese Foto-Ikonen stets das auf Pixel und Punkt, was Demokratie nicht sei und sein solle: die Verachtung von Mensch und Recht.
„Können demokratische Bildkulturen auch Fotos als Medien-Ikonen generieren, die zeigen, was Demokratie ist, was sie auszeichnet?“ Hier sieht Bultmann eine Leerstelle. „Und das ist auch gut so! Diese Leerstelle ist die Stärke der liberalen Demokratie. Diese Leerstelle ist der Kern einer Demokratiestärkung am Bild.“ In Anlehnung an den Titel seines Vortrags schließt Bultmann mit einem Aufruf: „Demokratie stärkt, wer Fotos liest als Anfrage an das Eigene, selbst und ständig.“
Macht Bilder! Das Publikum fühlt sich angesprochen und steigt in die Diskussion ein
„Warum hat es gerade dieses Bild geschafft, zur Ikone zu werden?“ möchte ein Zuhörer wissen. Bultmann erklärt, dass es die Mechanismen der Bild-Ikone ideal veranschauliche. „Es zeigt, wie Emotionen und Narrative durch Bilder transportiert werden – und wie diese wiederum die Wahrnehmung von Ereignissen beeinflussen.“ Das Foto war nicht nur ein Dokument des Moments, sondern eine visuelle Waffe, die politische Botschaften mit Emotionen füllte und millionenfach in sozialen Medien geteilt wurde.
Ein anderer Gast äußert seine Skepsis: „Wie sollen wir gegen die emotionale Macht solcher Bilder ankommen?“ Bultmann stimmt zu, dass dies eine Herausforderung sei, betont jedoch: „Wir könnten zwar die Leerstelle versuchen zu füllen und eigene, positive Bild-Ikonen schaffen – Bilder, die für Demokratie, Vielfalt und Gemeinschaft stehen. Wir könnten auch, anstatt die Bilder der Gegenseite zu teilen, eigene Narrative entwickeln und verbreiten. Es kommt aber vielmehr darauf an, sich selbst ein Bild von der Gesellschaft zu machen, in der ich als Mensch und Mitmensch leben möchte – und das ist doch hoch emotional.“
Wer Fotos historisch denkt, kann ihre Macht für sich und die Demokratie nutzen
Christian Weiss, stellvertretender Schulleiter am Droste, fasst die zentrale Botschaft des Abends zusammen: „An so einem Tag soll niemand nach Hause gehen und denken, dass alles verloren ist. Bilder, die wir nicht wollen, müssen wir nicht hinnehmen – und wenn wir sie teilen, sollten wir uns bewusst sein, was wir damit verstärken. Wir haben die Möglichkeit, Fotos zu hinterfragen, ihre Macht zu brechen und unsere eigenen Symbole zu schaffen – Bilder für die Demokratie.“
Antje Eichler